Dr. Eduard Heindl:

Rede zur Verleihung des Wolfgang Heilmann-Preises an Professor Manfred Dietel und Dr. Peter Hufnagel­
am 20. November 2002 auf der Medica in Düsseldorf

liebe Preisträger,
sehr geehrter Herr Professor Heilmann,
sehr geehrte Damen und Herren

Es ist mir eine Freude, auf der Medica, der größten Messe fürf Medizintechnik, die Leistungen der Preisträger würdigen zu dürfen. Insbesondere freut mich das große Interesse für die humane Nutzung der Telemedizin, das schon durch die große Zahl von preiswürdigen Einreichungen sichtbar wurde. Dem Kuratorium ist es nicht leicht gefallen, aus den vielen hochwertigen Arbeiten den wichtigsten Beitrag im Sinne der Stiftung auszusuchen.

Der Wolfgang Heilmann-Preis ist gedacht für:

·        herausragende Beiträge bei der Umsetzung der modernen Informationstechnologie,

·        Arbeiten, die einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Arbeits- und Erwerbsleben leisten und damit zu einer höheren Lebensqualität führen.

Humane Nutzung bedeutet Informationstechnik, die dem Menschen dient, sein Leben schöner, gesünder und nicht zuletzt angenehmer zu gestalten. Humanität bedeutet auch, dass Technik nicht diskriminiert und ausgrenzt, sondern integriert wird, von allen für alle zugänglich ist, die sie benötigen und damit auch friedensstiftend wirkt. Die Medizin erfüllt diese Aufgabe naturgemäß durch ihren Auftrag. Willkommen ist eine Medizintechnik, die ebenfalls diese Attribute verdient. Die Telemedizin bietet hier ganz neue Möglichkeiten, wie die Preisträger auf eindrucksvolle Weise mit ihrer Arbeit zeigen.

Telemedizin

Die Telemedizin ist ein Teilgebiet des weiter gefassten Begriffs „e-Health“, der den Einsatz der Kommunikations- und Informationstechnologie im Gesundheitswesen bezeichnet. Erst durch die Digitalisierung der Information ist es möglich geworden, Daten fehlerfrei zu übermitteln. Damit ist die Digitaltechnik der Schlüssel, den hohen Anforderungen der medizinischen Diagnostik gerecht zu werden, was den Einsatz der Telekommunikationstechnik in diesem Feld erst ermöglicht hat. Das daraus erwachsene Gebiet der Telemedizin umfasst die Bereiche Patienteninformationssysteme im Internet, Telediagnostik, Teleradiologie, Telekonsultationen und Telemonitoring. In Zukunft wird auch die Telechirurgie größere Bedeutung erlangen, für deren praktische Anwendung noch leistungsfähige Schnittstellen wie Aktoren und Sensoren fehlen.

Wir befinden uns seit über 30 Jahren auf einem exponentiellen Wachstumspfad der Digitaltechnik und der gleichzeitigen Verbreitung der digitalen Informationsübertragung. Das Internet als einheitliches Medium hat weltweit die Führung übernommen und steht heute praktisch an jedem Ort der Erde zur Verfügung. Dies gilt sowohl für die Industrieländer als auch in vielen Entwicklungsländern. Damit übertrifft das Internet bereits die Verbreitung und Zuverlässigkeit des Telefonsystems.

Ich gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung weiter rasant fortsetzt. Hieraus ergibt sich für die Medizin die Möglichkeit, die gewonnene Information über den Patienten vollständig digital zu erfassen, dauerhaft abzuspeichern und, wenn nötig, an jeden Ort der Erde zu versenden. Die Datenspeicherkapazitäten sind inzwischen ausreichend, um auch höchste Ansprüche an Bildqualität und Langzeitmessungen zu erfüllen. Mit dem Internet steht ein System zur Verfügung, das diese Informationen ohne Medienbruch höchst effizient und zudem außerordentlich preisgünstig an beliebige Orte transferieren kann. Es wundert daher nicht, dass viele der eingereichten Arbeiten diese Basis-Technologien in ihren Projekten einsetzen.

Die Telemedizin ist aber älter als der Einsatz der Digitaltechnik. Erste Versuche, EKGs über das Telefonnetz zu transportieren, datieren auf das Jahr 1907, eine technologische Aufbruchzeit, in der, wie heute, die Grenzen des Machbaren getestet wurden. Vor hundert Jahren fehlte allerdings die umfangreiche technologische Basis, die diese Ideen in eine sinnvolle Realität umzusetzen ermöglicht. Womit wieder einmal klar wird, dass eine zukunftsweisende Idee erst dann am Markt erfolgreich sein kann, wenn das technologische Umfeld dafür reif ist.

Einen speziellen Bereich der Telemedizin stellt die Telepathologie oder genauer die histologische Diagnose über große Distanzen dar. Für ihre herausragende Leistung in diesem Bereich hat das Kuratorium die Wissenschaftler Prof. Manfred Dietel und Dr. Peter Hufnagel ausgewählt, die beide an der Charité in Berlin tätig sind. Die eingereichte Arbeit, „Das UICC-TPCC, ein weltweiter Telepathologie-Service über das Internet“ erfüllt in jeder Hinsicht die vom Stifter gestellten Kriterien an eine preiswürdige Arbeit.

Vorstellung der Preisträger:

Professor Manfred Dietel, 1948 in Hamburg geboren, ist seit 2001 medizinischer Direktor der Charité in Berlin. Sein wissenschaftlicher Weg begann an der Universität Hamburg am dortigen Institut für Pathologie, wo er mit dem Thema "Funktionelle Pathologie der Nebenschilddrüsen" promoviert wurde, sich habilitiert hat und das Laboratorium für Zellkulturen leitete. 1989 wurde er Direktor des Instituts für Pathologie an der Universität Kiel; 1994 übernahm er die Leitung des Instituts für Pathologie am Charité Hospital der Humboldt Universität Berlin.

Er ist Mitglied der EORTC (European Organization for Research and Treatment of Cancer) und im Medizinausschuss des Wissenschaftsrats der Bundesrepublik Deutschland. Seine Interessengebiete liegen im Bereich des Zellwachstums von belignen und malignen Tumoren in Vitro sowie der Elektronenmikroskopie und, ganz allgemein, der modernen Molekularbiologie. Sein spezielles Interesse gilt auch der Cytostatic Drug Resistance, zu der er das erste und vierte internationale Symposium organisiert hat.

 

 

Dr. Peter Hufnagel, 1956 in Schneeberg geboren, ist heute Leiter des BMBF-Projekts Virtuelle Mikroskopie, zudem leitet er seit 1999 das Projekt Telepathology Consultation Center. Er hat an der Akademie für Bergbau in Freiberg Mathematik und Statistik studiert und 1989 seine Dissertation über die Verbesserung der Effizienz automatischer Mikroskop-Bildanalyse veröffentlicht. Seit 1986 leitet er das Labor für die automatische Bildanalyse am Institut für Pathologie an der Charité in Berlin. Mit über 130 Publikationen und 80 internationalen Konferenzvorträgen hat er eine bewundernswerte Produktivität im Bereich der digitalen Bildverarbeitung und der Telemedizin gezeigt. Exemplarisch sei auf seine Veröffentlichung zu „Telemicroscopy via the Internet“ in Nature, Vol. 391/1998 (S. 613-614), hingewiesen.

Das Zusammentreffen eines Mediziners und eines Mathematikers, die über lange Jahre gemeinsam ihre Ziele verfolgten, kann als eine wichtige Quelle der kreativen Leistung dieser Wissenschaftler bezeichnet werden.

 

Würdigung der Arbeit:

Die in der Arbeit vorgestellte histologische Diagnose über große Distanzen ist erstmals im Jahre 1969 in den USA an der Universitätsklinik Boston realisiert worden. Dazu wurde eine Mikrowellen-Strecke zwischen dem Logan-International-Airport und dem Massachusetts General Hospital aufgebaut, um makroskopische sowie mikroskopische Bilder von Hautkrankheiten zu übertragen, die dann per Ferndiagnose von Spezialisten beurteilt wurden. Der entscheidende Schwachpunkt der ersten Versuche für den praktischen Einsatz lag in der Isolation des Systems - oder in anderen Worten ausgedrückt: in den hohen Kosten für die praktische Nutzung. Ebenfalls im Jahr 1969, das den meisten durch die Landung des ersten Menschen auf dem Mond in Erinnerung ist, wurden an der Westküste der USA vier Computer über eine Datenfernleitung zusammengeschlossen, welche die Keimzelle des Internets bildeten, jener Technologie, auf die Prof. Dietel und Dr. Hufnagel heute zurückgreifen.

Durch den Einsatz des Internets kann die Telepathologie eine weite Verbreitung finden und so der humanen Nutzung der Informationstechnologie dienen. In Zukunft wird sie jedermann preiswert und zuverlässig zur Verfügung stehen.

Man unterscheidet bei der Nutzung der Telepathologie die Diagnose über große Entfernungen und die Einholung einer zweiten Meinung, den Konsiliarfall.

Die Möglichkeit, die Zeit für die Diagnose gegenüber dem bisherigen Verfahren - dem Versenden des Schnellschnitt-Präparats durch die Post oder Boten mit einer Laufzeit von mehreren Tagen - durch die Nutzung neuer Technologien erheblich zu verkürzen, bedeutet für alle Beteiligten eine gewaltige Entlastung. Der Patient muss nicht mehrere Tage wartend in der Klinik verbringen, bis eine Entscheidung über das weitere Vorgehen gefällt werden kann. Dies bedeutet für den Patienten eine Verbesserung der Lebensqualität und größere Chancen für eine erfolgreiche Behandlung. Für das medizinische System senkt jeder eingesparte Kliniktag die Kosten. Der Mediziner hat den Vorteil, dass er Entscheidungen auf einer besseren Basis fällen kann, zudem arbeitet er an weniger Fällen parallel.

Die Preiswürdigkeit der Arbeit besteht in der Integration der verschiedenen Techniken, bei der auch auf die Benutzerfreundlichkeit geachtet wurde. Das Verfahren basiert auf der digitalen Aufzeichnung von Schnittbildern mit einem handelsüblichen optischen Mikroskop. Das digitale Bild des Präparats wird im einheitlichen JPEG- (Joint Picture Expert Group) Verfahren gespeichert, das eine völlig verlustfreie Datenreduktion erlaubt. Das Bildformat kann mit allen im Internet verwendeten Datensichtprogrammen wiedergegeben werden, wie sie bei E-Mail und Internetseiten zum Einsatz kommen. Als Medium für die Datenübertragung wird im Projekt TCPP das Internet sowohl Online als auch im Offline-Mode genutzt.

Das Telepathologie-Consulting-Center in Berlin (TPCC) spielt im praktischen Ablauf die Rolle einer Drehscheibe. Der anfragende Pathologe sendet das Bild seiner Untersuchung an das TPCC, wo ein Pathologe entscheidet welcher Kollege für den jeweiligen Zelltyp der optimale Experte ist. Inzwischen stehen dem TPCC dafür über 70  weltweit teilnehmenden Pathologen zur Verfügung. Dieser Experte erstellt dann innerhalb kürzester Zeit seine Diagnose, sendet diese an das TPCC zurück, das es automatisch an den anfragenden Pathologen weiterleitet.

Dieser auf den ersten Blick etwas umständlich erscheinende Weg bietet den großen Vorteil, dass mit der Zeit eine zentrale, anonymisierte Datenbank im TPCC entsteht, die hochspezifische Informationen zu allen auftretenden Fällen enthält. Zudem ist die zentrale Koordination vorteilhaft für die Standardisierung und zunehmende Automatisierung der Prozesse.

Die Weltkrebsgesellschaft (Union International Contre Le Cancer (UICC)), der die nationalen Krebsgesellschaften von 180 Staaten angehören, hat bereits 1999 beschlossen, dass das  weltweit über Internet erreichbare Beratungszentrum für Pathologie (Telepathology Consultation Center (TPCC)) am Institut für Pathologie der Charité eingerichtet wird. Die Wahl fiel auf das Charité Institut dank der beispielhaften Entwicklung eines vernetzten Telepathologie-Systems innerhalb der verschiedenen Standorte der Charité, das bereits zu Anfang der neunziger Jahre von Prof. Dietel und Dr. Hufnagel aufgebaut wurde.

Gerade im Bereich der Krebserkrankungen ist es oft entscheidend, den Grad der Bösartigkeit des jeweiligen Tumors eindeutig zu erkennen. Dies gelingt dem Pathologen an Hand der feingeweblichen Untersuchung von Tumormaterial des Patienten. Bei zehn bis zwanzig Prozent aller Tumore bedarf die Beurteilung der histologischen Bilder einer so genannten zweiten Meinung (second opinion) eines anderen Experten. Genau dieser mühsame Prozess, einen geeigneten Experten zu finden und die entsprechenden Daten zu übermitteln, wird durch das UICC-TPCC grundlegend vereinfacht.

Die Preisträger haben aber nicht nur das System für die Telepathologie bis zur Praxisreife weiterentwickelt und für den weltweiten Einsatz aufbereitet und beworben. Herr Dietel und Herr Hufnagel haben auch ein Arbeitspapier zur Telepathologie für den Berufsverband Deutscher Pathologen e.V. entworfen, das die rechtlichen und praktischen Aspekte dieser Technologie im Arbeitsumfeld des tätigen Pathologen diskutiert. Für den Juristen wirft die Telepathologie komplizierte Fragestellungen auf, da Handlungs- und Erfüllungsort in verschiedenen Rechtsräumen liegen können. So ist es möglich, dass ein italienischer Arzt in Berlin anfragt, die Bilder von einem Pathologen in Berlin an einen australischen Kollegen weitergeleitet werden, dort begutachtet werden, und das Urteil eine für den Patienten hoffentlich erfolgreiche Behandlung in Italien nach sich zieht. Was aber, wenn es Probleme gibt?

Die Archivierung der Daten erfordert in der Medizin immer höchste Sorgfalt, speziell im Fall der Schnellschnitte genügt eine digitale Speicherung der Bilder nicht, da nur das physikalische Originalpräparat ein ggf. notwendiges DNA-Fingerprinting erlaubt.

Humanisierung in der Medizin bedeutet auch immer die Einbeziehung des Patienten. Hier wird die Frage der Aufklärung des Patienten über das angewendete Verfahren der telepathologischen Diagnostik diskutiert. Die Preisträger haben die Frage aufgegriffen und pragmatische Lösungen gefunden.

Kein Verfahren kann dauerhaft ohne gesunde Finanzierung überleben. Obwohl heute die pathologischen Experten des UICC ihren Rat ehrenamtlich abgeben, müssen längerfristig entsprechende EBM bzw. GOÄ Ziffern für die Abrechnung der ärztlichen Leistung verfügbar sein.

Auf längere Sicht ist die Standardisierung der Kommunikationstechnik in Telepathologiesystemen entscheidend. Hier schlagen Dietel und Hufnagel die Einführung des DICOM-Standards (Digital Imaging and Communications in Medicine) vor und für das Mikroskop-Interface den VMI-Standard (Virtual Microscope Interface). Diese Standards sollen gegenüber der Industrie vertreten werden, damit die Kommunikation zwischen den Pathologen unabhängig von der jeweils installierten Hard- und Software problemlos gelingt.

Die zukünftige Entwicklung dieser Systeme wird von den Preisträgern ebenfalls vorangetrieben, die aktuell versuchen, durch das vollständige, hochaufgelöste digitale Speichern kompletter mikroskopischer Schnitte für den Telelearning-Bereich den Studenten Zugang zu einem virtuellen Mikroskop zu gewähren. Die dabei anfallenden Datenmengen, 26 GB pro Bild, können dank modernster Servertechnologie heute gehandhabt werden, und mit entsprechender Software kann der Interessierte das Präparat via Internet untersuchen. Damit zeigen die beiden Preisträger auf der ganzen Bandbreite der Telemedizinischen Technologie viele Einsatzfelder auf, mit denen die Humanisierung im medizinischen Bereich durch den Einsatz modernster informationstechnischer Systeme vorangetrieben wird.

Neben der Arbeit von Dietel und Hufnagel darf ich noch auf zwei weitere herausragende eingereichte Arbeiten hingewiesen, die hier durch einen eingeladenen Vortrag präsentiert werden:

Dr. Matzko: Elektive Betreuung von Computertomographen mit teleradiologisch gestützter Notfallbefundung.

Das eingereichte Projekt zeigt auf, wie durch die Nutzung der Fernübertragung von Computertomogramen der Einsatz dieser Geräte auch in kleineren Kliniken realistisch wird. Dabei wurde durch eine Kooperation zwischen einer Zentralklinik, hier das Klinikum Großhadern und einer kleineren Klink, in diesem Fall das Kreiskrankenhaus in Mindelheim dem Standort des Computertomographen, der Einsatz zu vertretbaren Kosten realisiert.

Drs. K. u. V.N. Stroetmann: Telemonitoring für chronisch Kranke Risikopatienten, Ergebnisse einer klinischen Vergleichsuntersuchung.

Die umfangreichen Untersuchungen von Dr Karl Stroetmann und Dr. Velitchka Stroetmann sind für die praktische Weiterentwicklung der Telemedizin von großer Bedeutung, da sie den tatsächlichen Nutzen der Technologie aufzeigen und eine Quantifizierung im Rahmen des Projekts erreichen wollen.

Diese beiden Projekte werden im Anschluss an den Preisvortrag von Herrn Dietel vorgestellt.

Ich gratuliere den Herren Dietel und Hufnagel zu ihrem Preis und bitte sie zum Vortrag.

 

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